Die mehr oder weniger ungeplante Winterpauseist - jetzt vorbei -
Mit allem neuen dass mir in den letzten Monaten begegnet bin
ich aber immernoch sehr überfordert. Es stellt sich immernoch die Frage
was ich mit all dem anfangen soll und wie und in welcher Form das alles verarbeitet wird. Mit Aoi Tempel und Schreine besuchen, Goshuin
sammeln¹ nachdem sie mir den Byōdō-in in Kyoto empfohlen hatte, die
Hitler-Grüße vom Odachlosen in Shinanomachi, die Reise zu Hiromi und
Akio nach Amino, Mayuzumis "Prelude for String Quartet" im Lion Cafe oder das Hangul-Museum in Seoul. Ab und zu kam mir mal der Gedanke auf sich zu verschiedenen Themen zu
äußern, jedoch hänge ich momentan immernoch stark an einer tagespolitischen Enthaltung (zumindest hier) da mir dazu die Zeit und auch der Überblick
fehlt, also wie der Name Rare Appearance schon vermuten lässt... gab es also eine kleine Pause mit der hoffentlich niemand ein Problem hatte.
Im März habe ich zeitgleich zwei Ausstellungen vorbereitet - Zusammen mit der Tokyo Zokei University haben wir den zweiten Teil unserer Kollaboration im Kunstmuseum Fuchū abgehalten. なりきりのあとで (Narikiri No Ato De) ist sozusagen eine Folge auf unserer erste gemeinsame Ausstellung 偽名展 (Ginmei-Ten). Eine Nachbesprechung der Arbeiten muss ich aber erst einmal auf unbestimmte Zeit nach hinten verschieben da ich sehr unzudrieden war, eher mit der Ausführung als mit dem Konzept.
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東中野駅彫刻「遥かなる時が」© Karl Alexander Seidel | |
Leider kann ich nicht herausfinden von wem diese Skulptur aus dem Bahnhof Higashi-Nakano stammt. Falls es jemanden gibt der mehr weiß, melde dich gerne bei mir. Lediglich den Name 「遥かなる時が」konnte ich herausfinden, es könnte so etwas wie ferne Zeit(en) bedeuten.
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Die Videoarbeit für unsere Ausstellung Malbo, (in Kollaboration mit dem Skulpturenmuseum Glaskasten in Marl) möchte ich hier einmal ganz kurz vorstellen - den Dialog werde ich hier auch noch einmal in Textform veröffentlichen, sodass er einfach übersetzt werden kann. Einen Ausschnitt gibt es außerdem auf YouTube, dort gibt es auch eine Werkbeschreibung in Englisch.
... sehen sie. Hier zum Beispiel. Man könnte auch sagen Marl gegen Caesar. Das wäre aber natürlich etwas zu einfach... Wichtiger ist aber auch, dass es einfach nicht stimmt. Die Zeiten stimmen nicht überein. Dann kann ich ja auch sagen nur weil ich im Moment nicht in Deutschland bin “(...) ja, in Seoul schreibt und redet man immernoch über Heiliger und Reusch”.
Irgendwie würde das aber schon gehen oder? Obwohl Marl ja aber nun wirklich kein Imperium gewesen ist, nich(t)? Ich meine, die Geschichte der Brukterer ist ja interessant, nicht umsonst wurden sie explizit erwähnt und außerdem gefürchtet. Immer aus dem Hinterhalt aber ja, das ist alles etwas zu lange her.
Aber die Begriffe sind eben immer noch aktuell. Also ich denke da jetzt an Grenznah, Römische Propaganda, Krisenmanagement, Ahnenforschung, Rechts des Rheins... aber sie wollten dann sozusagen den Nazis die Germanen wegnehmen, verstehe ich das richtig? (lacht)
Naja das kann ich natürlich nicht - aber mit dem Mythos wollte ich mal aufräumen. Und ich wusste so schrecklich wenig über die (kulturelle) Entstehung von Central Europe. Ihre Verwandten zum Beispiel, aus Thüringen, die haben ja gar keine richtigen Brukterer in sich, das wüsste ich jetzt. Dazu liegt das Siedlungsgebiet zu weit westlich... aber ja, der Begriff an sich ist erstmal viel zu oberflächlich - und vor allem problematisch. Bei dem Thema bin ich also schon eher vorsichtig.
Die Germanen beschäftigen mich seit einer Weile, insbesondere innerhalb des Themenkomplexes der kulturellen Entstehung Europas (Central Europe). Durch die letzten Monate in Japan habe ich mir über (kulturelle) Tradition und Historie viele gedanken gemacht, den Einfluss den sie auf Alltagspraktiken haben, auf Stadtbilder (ich denke da an den Shinto-Schrein neben der McDonalds Filiale) sowie die Angriffsfläche auf die (nicht nur) Künstler zurückgreifen können. Mir ist dadurch echt bewusst geworden dass ich nicht mal ansatzweise wusste wer die Germanen überhaupt sind. Zumindest wird mir mehr und mehr klar dass es sich bei dem Begriff weder um einen festen, eher um einen kulturellen sowie zeitlichen Begriff handelt.
Wichtig ist jedoch, dass dieses Thema heute nicht ohne 33-45 in Betracht zu ziehen bearbeitet werden kann, ohne den monumentalistischen Fetisch der den Missbrauch von Historie im Nationalsozialismus angetrieben hat - Umwandlung oder völliger Verzerrung - Christliche Gebäude werden zu Ahnenhallen, sogenannten "Ehrenhallen des deutschen Blutes"² oder die Runen des germanischen Alphabetes, welche ja auch bis heute noch ihre Verwendung finden. Ohne Zweifel sind es rechtsadikalen Symbole, zumindest könnten sie es sein. Gleichzeitig sind es jedoch keine rechtsadikalen Symbole per se. Immer wenn sich die Frage stellt, wie sehr Missbrauch und Umdeutung Einfluss auf die aktuelle Bedeutung haben, etwas also irreversible Schäden erlitten hat, möchte ich ab jetzt von einer traurigen Historie sprechen. Tunnelblick und die verneinug historischer Fakten schafften schon immer Platz für neo-nazistische Tendenzen und deren "ideologischen Projektionsräume"³.
Auch ein Moment im Gespräch von Friedrich Dürrenmatt und Heinz Ludwig Arnold stößt dabei ganz kurz an dieses Thema an, wenn auch unbeabsichtigt. Dürrenmatt breschreibt während des Gespräches einen Spaziergang in dem er mit seinem Vater und dem Kirchgemeindepräsidenten (wahrscheinlich) durch sein Heimatdorf gelaufen ist und zum ersten mal den Namen "Hitler" hörte. Es kam die Frage auf "ob Hitler ein Christ sei oder nicht"⁴. Eigentlich ging es bei dieser Geschichte eher um die Abgeschottenheit des Dorfes während seiner Kindheit, eine Politiserung des ländlichen Raumes ist nach Dürrenmatt eher ein modernes Phänomen... jedoch wie man jedoch sehen kann vermischt sich hier schon wieder einiges und wird teilweise sehr unübersichtlich, liegt aber vielleicht auch eher daran dass ich versuche alles in einen Blogartikel zu quëtschen. Ein Grund mehr diesem Komplex separate Arbeiten und ein Kapitel in meiner Abschlussarbeit zu widmen. Jedenfalls wird das 6. Jahrhundert wohl sehr wichtig für mich werden.
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Zwei neue Uploads auf YouTube die ich hier noch nicht vorgestellt habe:
Steve Lacy - Disposability - 1966
Joëlle Et Tetsu - Live At Yokohama Jazz Promenade Festival - 1996
Demnächst dann, falls es keine Probleme mit dem Copyright geben sollte: Ravel, Xenakis, Takemitsu, Milhaud und viele mehr.
Demnächst, auch um für meine eigene innere Ordnung zu sorgen, zu archivieren und abzuschließen stelle ich meine Arbeiten Düsseldorf & a farm for sale sowie Tokio (1) & GX4 oder Die Venus von Wilmersdorf vor. Die Gipsskulptur, mit der ich dieses Semester noch einige Abformungen vornehmen möchte befindet sich im moment jedoch noch auf dem Frachter in Richtung Deutschland. Außerdem muss ich noch einmal die Begleitblätter auf mein Behördenpapier drucken was ich nach meiner Rückkehr im Container gefunden habe. Für Düsseldorf & a farm for sale kam mir die ursprüngliche Idee der Semi-Information und der semi-informativen Kunst. Neben der taktischen Fragmentierung (diese Beschreibung hat mir Manfred einmal während unseres Gespräches vorgeschlagen) und Geschichte+ ist die Semi-Information eine sehr wichtige Grundsäule meiner künstlerischen Praxis.
Man könnte die SI als einen Verweis auf meinen Arbeitsprozess sehen - das nicht genau einordnen können oder das noch nicht genau wissen wie ich es verwenden kann. Welche Bedeutung haben Kreuzritter mit ihren Steuervorteilen für mich? Ich bin mir sicher ich wusste es mal. Aber um noch einmal auf Malbo International zu verweisen (...) Hauptsache es gibt irgendwelche Informationen, mehr oder weniger vergleichend… Ich denke außerdem an Alexander Kluges "Geschichte des Klebens", welche mir sowieso als großer Startschuss diente und den Moment des was die Basken wollen und was Madrid will.⁵ Bei AK bin ich mir jedoch sehr sicher dass er ganz genau wusste was die Basken wollen und was Madrid will, warum auch immer das da so eingesetzt wurde. Als Beispiel für eine Semi-Information, könnte man auch ein Videoaufnahme eines CNN-Korrespondenten nehmen, die während der Invasion des Iraks 2003 enstanden ist. Hito Steyerl eröffnet ihr Kapitel "Die dokumentarische Unschärferelation" aus der Publikation "Die Farbe der Wahrheit: Dokumentarismen im Kunstfeld" damit. Zweifelsohne gibt es eine Menge an Deckungsgleichheit zwischen Information und Dokumentation.
Für mich ist eine exakte Vermittlung von Informationen einer der
wesentlichen Aufgaben Bildender Kunst. Das schließt eine
Semi-Information jedoch nicht aus, solange diese nur ausreichend
autoritär positioniert wird. Bis jetzt habe ich jedoch keine andere Möglichkeit abseits des Textes für unverfälschte Vermittlung gefunden. Eine Semi-Information hat jeder und jede schon einmal erhalten, man sollte jedoch dabei außerdem in eine beabsichtigte und eine unbeabsichtigte unterteilen.
Eine Sache, die mir auch mehr und mehr bewusst wird seit ich Dürrenmatt lese, wie wichtig es ist sich als Künstler oder Künstlerin einer gewissen Verantwortung bewusst zu sein. Wem oder was gegenüber diese Verantwortung besteht, könnte tatsächlich erstmal unwichtig sein. Hauptsache nur nicht so egoistisch aber mehr dazu später + + +
Btw, möchte jemand diesen Blogartikel kaufen?
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¹ Wie sehr man hier von einer Sammlung sprechen sollte weiß ich momentan noch nicht, es handelt sich ja immerhin um eine immernoch religiöse Praxis - was mir auch immer mehr bewusst wurde. Das von Tempel zu Tempel rennen habe ich also weggelassen, stattdessen Zeit genommen um mit Priestern oder Mitarbeitern zu reden, etwas über die Geschichte des Tempels zu erfahren und mir das Gelände näher anzuschauen.
² Harten, Elke: Der nationalsozialistische Regenerationsmythos in Museen, Ausstellungen und Weihehallen, in: Herrmann, Ulrich [Hrsg.]; Nassen, Ulrich [Hrsg.]: Formative Ästhetik im Nationalsozialismus. Intentionen, Medien und Praxisformen totalitärer ästhetischer Herrschaft und Beherrschung. Weinheim u.a. : Beltz 1993, 250 S. - (Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft; 31), S. 49
³ Banghard, Karl: Der Mythos vom Germanen – über einen identitätsstiftenden Kult im Rechtsextremismus, Bundeszentrale für politische Bildung, 27.10.2017
⁴ Friedrich Dürrenmatt im Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold, DSR2, 1975
⁵ Kluge, Alexander - Chronik der Gefühle in Disruptiver Zeit. Geschichten zu kurzen und langen Zeiten. Im Gespräch mit Ulrich Stadler, 2018, Fondation Beyeler
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