Sonntag, 11. Juni 2023

Komposition:Ouest & Warum ich immer mit den Toten abhänge (15)


Ich weiß nicht genau, wann ich zum ersten Mal von Tōru Takemitsu gehört habe, aber ich erinnere mich an ein Interview mit Mika Vainio, in dem er über den Einfluss sprach, den Takemitsu auf ihn hatte. Auch hat mir meine Mutter einmal zum Geburtstag eine CD geschenkt, eine Sammlung von Orchesterwerken, die im Moment wie viele andere Sachen auf dem Dachboden eingelagert ist, ich erinnere mich aber noch an das Torii¹ auf dem Cover. Und dann war es wahrscheinlich ein Disk Union Store, - Shibuya oder Ikebukuro - wo ich zufällig auf zwei Aufnahmen gestoßen bin. Ich weiß wirklich nicht, warum ich nicht noch mehr gekauft habe, ich erinnere mich nämlich, dass mir die CDs, die ich gekauft habe, schon in Tokio echt gut gefallen haben. Hätte ich mal bei einem meiner Fuji-Records Besuche machen sollen, imo; der mit Abstand schönste Plattenladen in Tokio. Leider habe ich einen Fehler gemacht und meinen Film teilweise doppelt belichtet, daher kann man auf dem einzigen Foto was ich habe nur relativ wenig erkennen.

 

fujirecordsha, Chiyoda City - 富士レコード社, 千代田区

Die Naturverbundenheit Takemitsus und seine Überlegungen zum Bewusstsein und der Sinne sind für mich relativ schwer zu greifen, sobald seine Gedanken jedoch etwas gegenständlicher und modellhafter werden, finde ich sie sehr spannend. Unumstritten gibt es in seinem Werk zeitliche und musikalische Kontinuität und klare erkennbare Einflüsse sei es Stockhausen, Franck oder Debussy. Jedoch sind es vor allem die „neuen Methoden“ // wechselnde Anteile an Improvisation und seine „individuellen“ Ansätze aus Gegenüberstellungen - Ost;West oder Handwerk;musikalisches „Spüren“ (weder das eine oder das andere agiert dabei stellvertretend) die seine Kompositionen auszeichnen.
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„One day, he happened to hear César Franck’s Prelude, Chorale and Fugue on the radio. Takemitsu later   called this incident his “second discovery” in that in this piece by Franck, he had found the absolute music, i.e., music without words. In traditional Japanese music, the music and words are inseparable, but the Prelude, Chorale, and Fugue was performed by a single instrument, the piano, and in this format spoke to his inner senses.“²  ___________

Merkmale der westlichen und nicht-westlichen Musik sind für Takemitsu Reflektionen. z. / - Reaktionen von einem auf das andere und das einzige, was diese beiden Welten wirklich unterscheidet, ist Takemitsu nach der Gebrauch und die Geschichte. Westliche Klassische Musik, mit der Universalität als Produkt ihrer eigenen Logik und den hochqualifizierten Individualisten kann nur bedingt auf Konditionen einer nicht-westlichen Tradition eingehen. Diese unmögliche Übersetzung gilt dabei allerdings nicht nur von W—> O sondern ebenfalls für O—> W, da je nach Erdhälfte, Musik als Kulturtaktik immer in jeweils andere und stark ortsgebundene Traditionen eingebettet ist. Nicht-westliche Musik wuchs für Takemitsu wie „Gras auf dem Feld“, während westliche Musik (wir bleiben bei dem Bild) von einzelnen Bäumen dominiert wurde, von denen manche höher wachsen (wollten) als andere.

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Es ist wahrscheinlich komisch, für manche schwer zu verstehen warum ich soviel Zeit damit verbringe über jemanden zu schreiben, jemanden zu archivieren in dessen Disziplin ich nicht einmal arbeite. Ich frage mich ja auch öfter, warum ich immer bei den Toten abhänge. Ich bin mir dieses Verhältnisses sehr bewusst. Es ist aber mein Versprechen welches ich halte, Vergessenes und Verlorenes zu erhalten und niemanden zurückzulassen der nicht als herausragende Säule der Menschheit in der Vergangenheit aufgestellt wurde. Ein großes Versprechen, ich weiß... Das letzte mal als ich von einem Versprechen gehört habe war es das, welches Kenzaburō Ōe seiner Mutter gegeben hat, niemals zu genau über den Tod seines Vaters zu reden. // Hier wird niemand Vergessen //  +c

Die Liner Notes zur CD wurden übrigens von ihm geschrieben - beides natürlich außerdem Künstler, deren Erfahrungen im 2.Weltkrieg wesentlichen Einfluss auf ihre Entwicklung hatten. Ōe ist vor ungefähr 3 Monaten gestorben, ich habe zum ersten Mal von ihm gehört als ich mir mal wieder meine Zeit auf dctp.tv vetreiben wollte und mir ein Interview mit ihm zu seinem Buch Tagame Berlin-Tokyo gesehen habe. Dass die beiden sich herrlich verstanden haben war ja mal wieder klar. Ōe landete also direkt mal mit Stolz der Toten in meinem Einkaufskorb, ebenso Orangen und Tode von Jürg Federspiel ))c Ganz schön viel Tod hier heute.


Stolz der Toten, Fischer Taschenbuch, 1996 / Orangen und Tode, Suhrkamp 1985

Im Fall Takemitsu zum Beispiel, finde ich es einfach erstaunlich, dass sich die Fragen die ihn beschäftigt haben, ebenfalls, wenn auch übersetzt auf das Gebiet der Bildenden Kunst anwenden lassen. Auch wenn nicht expliziert formuliert, zweifelt TT das einfache Nutzen i.e. Benutzen fremder Kulturen an. Während seine französichen Kollegen sich in Indonesien  über neue Ressourcen freuten, als sie das erste mal indonesische Ensemblemusik (Gamelan) hörten, stellt sich für ihn erstmal die Frage wie und ob so etwas überhaupt funktionieren könnte. Interkulturelle Komposition, ohne dass sich das eine völlig im anderen auflöst und jegliche Besonderheiten aufgibt. Keine Sorge, ich fange jetzt nicht schon wieder mit der Geschichte des Klebens an. Aber das ist ja auch eine Frage die ich mir nach 8 Monaten Aufenthalt in Japan stelle, bzw. die die mir gestellt wird. Was hast du gelernt? Was fängst du damit an? Außerdem gibt es interessante Gedanken zur site-specific music³. Ortsspezifität, nicht erst seit 60 Jahren Angelegenheit der Bildenden Kunst und Architektur, die sich in ihren Anfängen bis in christliche Ursprünge selbst zurückverfolgen lässt, scheint jedoch unter dem Begriff noch nicht bei der Musik angekommen zu sein. Irgendwo wird dieses Konzept mit Sicherheit schonnmal aufgetaucht sein. Anfangen könnte ich dann ja mal mit Fahrstuhlmusik. Vielleicht muss ich mal Eneko und Mattia fragen. Bei Morton Feldman gibt es ja immerhin schonmal den Begriff Casted Pieces. Wir nähern uns also schonmal einer speziellen Anfertigung, wenn auch nicht für Orte sondern Instrumentalist*innen. Und dann gibt es da noch die Skepsis gegenüber Information und einer strukturellen Analyse von Kunstwerken, die für ihn wohl eher eine Beeinträchtigung der Wirkung darstellen.

"On the contrary,many things would be lost if we tried to designate it systematically with symbols. If one slides down the narrow trough of description, a unique fragrance has been lost by the time one reaches the bottom."


 Dem Experimental Workshop (実験工房 / Jikken Kōbō) insbesondere Kiyoji Ōtsuji (大辻 清司) werde ich mich später widmen-d-29) - vor allem wg. Dokument. Fotografie... Manfred hatte auch schon gefragt, wahrscheinlich wegen einer Theatherbühne oder so die er beim Durchblättern gesehen haben muss. Das einzige Heft was ich besitze ist nur auf Japanisch, es wird also trotz Übersetzungshilfe einige Zeit dauern bis ich da durch bin.


tt_mod1
c (

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¹ Torii: Japanisches / Shintoistisches Schreintor. Markiert den Eingang sowie den Übergang vom Weltlichen in das Heilige am Eingang eines Shinto-Schreins.dd

² Sakamoto, Haruyo, Tōru Takemitsu: The Roots of His Creation, Florida State University Libraries, 2003, p.4

³ Mirrors - Tōru Takemitsu - Mirror of Trees,Mirror of Gras - Tokyo: Shincho Sha, 1975 - Translation by Sumi Adachi & Roger Reynolds in: Perspectives of New Music, Vol. 30, No. 1 (1992), p. 42

⁴ Zwar benutzt Takemitsu nicht genau diesen Begriff, aber er passt relativ gut zu den Umständen, die er in Mirrors beschreibt.

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